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Tafelrunde – Beziehung geht durch den Magen

Essen beinhaltet weit mehr als prosaisch gesehen den physikalischen Vorgang der Nahrungsaufnahme, die damit verbundene Versorgung des Körpers bis hin zur Verdauung. Mahlzeiten finden beim Menschen (idealerweise) in Gesellschaft statt und werden über den gemeinsamen Genuss hinaus ein Anlass zum Austausch.

Eine Mutter sitzt mit Tochter und Sohn am Esstisch und tut Salat auf einen Teller

Andrea Vogelgesang

24.09.2024

Lesezeit 3 Minuten

Die Nahrungsaufnahme definiert sich am Lebensanfang in der Regel über eine intensive und sinnliche Zweierbeziehung. Wenn das Neugeborene in den ersten Monaten an der Mutterbrust saugt (oder das Fläschchen bekommt), wird nicht nur der Magen gefüllt, sondern auch der Hunger nach Nähe und Beziehung gestillt. Das ist eine Situation exklusiver Kommunikation – ohne Worte außer ein paar begleitender mütterlicher verbaler Liebkosungen. Nehmen wir als Ausgangspunkt also ein Setting von Sättigung, sinnlichem Genuss und Interaktion.

Der Kinderstuhl

Je älter das Baby wird, desto mehr weitet sich der Radius seines Interesses an der Umgebung. Es lässt sich leichter vom Trinken ablenken und beginnt, die Familienmitglieder zu beobachten. Eine prägnante Erinnerung zu solch einem Entwicklungsschritt erlebte ich am Mittagstisch, als ich meine zweite Tochter mit knapp fünf Monaten stillte und dabei gleichzeitig eine Gabel zu meinem Mund manövrierte. Ihre kleine Hand schnellte plötzlich nach dem daran hängenden Auberginenstück, sie gab es nicht mehr preis und nuckelte ausgiebig und neu-gierig an ihrer „Beute“. Dieser Moment zeigte, dass sie für das Tischgeschehen mit Vater, Mutter und der großen Schwester und dem, was sie zu sich nahmen, erwacht war. Sie wollte daran teilhaben. Bald darauf wurden Mamas Brust und Schoß gegen einen Kinderstuhl eingetauscht und damit sozusagen der erste ganz eigene Platz im Familiensystem besetzt.

Ess-Tee-Tisch

Bei der Familie von David wird großer Wert auf eine ästhetische Atmosphäre gelegt, auf einen schön gedeckten Tisch mit Tischdecke, sei es für das Mittag- oder Abendessen oder auch beim Tee oder Kaffeetrinken. „Eine Ausnahme ist das Frühstück unter der Woche, wenn alle in Eile sind“, erzählt der Familienvater. Alle – das sind seine Frau Maki, die zehnjährige Tochter Ayako und der neunjährige Sohn Johann. Die beiden Kinder haben übernommen, was ihnen von klein auf vorgelebt wird, und achten nun von selbst darauf, nicht zu sehr zu kleckern oder wenn nötig auch mit einem Lappen den Tisch zu säubern. Bekannt ist der Begriff Esskultur, wobei nach dem Motto „andere Ländern, andere Sitten“ die Nahrung, deren Zubereitung und Manieren deutlich variieren können. Davids Frau ist Japanerin und so mischen sich zu Hause bei Tisch kulturelle Gepflogenheiten mit zum Beispiel der richtigen Benutzung der Stäbchen, typischen Gerichten und besonderen Manieren. Was gilt in Japan als richtig oder falsch bei Tisch? David nennt ein paar Beispiele wie etwa, dass man die kleinen Reisschalen beim Essen anhebe oder dass die Miso-Suppe nicht wie eine hiesige Vorsuppe auf einmal aufgegessen werde, sondern von Speise zu Speise wandere und man immer darauf achte, dass auch die anderen genug bekämen. 

Auszeit vom Alltag – sozialer Treffpunkt

Die gemeinsame Einnahme der Mahlzeiten schafft so etwas wie kleine Auszeiten vom Alltag. Man genießt zusammen das Essen, der Körper tankt auf, aber auch die Seele, indem Geschichten vom Tag erzählt oder über geplante Vorhaben gesprochen wird. Die Grundlagen zur Gesprächskultur werden geschaffen. Kinder müssen manchmal einfach nur zuhören, wenn Erwachsene etwas zu besprechen haben, genauso wie auch ihre Erlebnisse oder Sorgen dann wieder im Mittelpunkt stehen. Das ist ein Ritual zum Familienaustausch, der Esstisch wird so sozialer Treffpunkt. Solche Gespräche bieten einen sicheren Rahmen und sind ein wichtiger Grundstein für das soziale Miteinander. Dabei gibt es von einer Familie zur anderen unterschiedliche individuelle Färbungen, man könnte eigentlich sagen, eine familiäre Intimzone, die das Zusammengehörigkeitsgefühl stärkt. Man teilt seine Meinung wie auch die Speisen. Übrigens galt der Mensch bis vor Kurzem als das einzige Lebewesen, das seine Nahrung freiwillig teilt. Mittlerweile beobachteten Forscher zum ersten Mal bei Tieren, den Bonobos, auch Zwergschimpansen genannt, ein ähnliches Verhalten.

Gemeinsam tafeln

Laut einer Studie nehmen vier von zehn Eltern nur selten die Mahlzeiten gemeinsam mit ihren Kindern ein, 10 Prozent gaben sogar an, nie mit ihrem Nachwuchs zusammen am Esstisch zu sitzen. In lediglich 20 Prozent der Familien werde gemeinsam gegessen. Genau das bemängelt auch die bekannte Ernährungsexpertin Dagmar von Cramm, dass nämlich heute viel zu wenig Zeit miteinander verbracht werde und der Kühlschrank den Herd als Mittelpunkt der Familie abgelöst habe. Und das bedeutet, dass sich jeder etwas auf die Hand nimmt und zu seinen eigenen Zeiten isst. Das verführt zu unkontrolliertem Essen und steigert die Menge von Zwischenmahlzeiten, wodurch einerseits die Gefahr von Übergewicht zunimmt, während kommunikative Situationen mit dem so wertvollen Austausch abnehmen. Demgegenüber geben Struktur und Rituale Kindern Halt und tun letztendlich allen Familienmitgliedern gut. Auch wenn der Alltag solch eine wohltuende Esskultur oft nicht zulässt, sollte man die alltägliche Gewohnheit zumindest am Wochenende durchbrechen und den Esstisch zur Oase machen.

Im Mittelpunkt der Familie

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