In einem Video auf YouTube beschließt der kleine Luiz, keine Tiere mehr zu essen. Er ist schätzungsweise drei Jahre alt und fragt seine Mama beim Mittagessen, was die kleingeschnittenen Stücke auf seinem Teller einmal waren. Nachdem er erfährt, dass sie zu einem Tintenfisch gehörten, der im Meer geschwommen ist, wird er nachdenklich. Wenn Kinder, so wie Luiz, von sich aus Mahlzeiten mit Fleisch oder Fisch ablehnen, ist das in der Regel emotional begründet. Erwachsene entscheiden sich über Empathie hinaus aus weiteren Gründen für fleischlose Kost: Sie wollen ein Zeichen gegen Massentierhaltung und für das Tierwohl setzen oder sowohl dem Körper etwas Gutes tun als auch die Umwelt durch Ressourcenschonung so wenig wie möglich belasten. Luiz’ Mutter verspricht ihrem Sohn, dass er kein Fleisch mehr essen müsse. Diese sehr persönliche Szene aus ihrer Küche bekam eine große Öffentlichkeit, weil sie in einem Video festgehalten wurde und seit 2013 auf YouTube anzusehen ist. Viel länger schon wurde und wird kontrovers über das Thema fleischlose Ernährung diskutiert, wobei vor allem gesundheitliche Folgen im Mittelpunkt stehen.
Mehr als nur Salat
Man erinnert sich an den Lebensmittelchemiker Udo Pollmer, der als häufig geladener Gast in Fernsehtalkshows saß, um vor den Augen der Zuschauer:innen mit einem in Wasser getränkten Tempotuch zu veranschaulichen, welcher Wert (nicht) in Salatblättern stecke. Sein Fazit: Es handele sich in beiden Fällen um Zellulose und H2O. Da sei man besser mit einer Bratwurst bedient, die wenigstens Vitamin C enthalte. Nicht erwähnt hat er, dass Kopfsalat über die 95 Prozent Wasseranteil hinaus Chlorophyll, Vitamin C und K, Carotinoide sowie Mineralstoffe enthält, die man in einem Taschentuch vergeblich sucht. Den Vergleich bezeichnet die Ernährungsexpertin und stellvertretende Leiterin im Referat Gemeinschaftsverpflegung und Qualitätssicherung bei der Deutschen Gesellschaft für Ernährung e. V. (DGE), Esther Schnur, als nicht seriös und weist auf noch etwas anderes hin: „Man kann vegetarisches Essen nicht auf Salatblätter reduzieren, sie sind ja nur ein Bestandteil von Gerichten mit vielseitigen Zutaten.“
Bereicherung statt Defizit
Eltern fühlen sich bei Warnungen, der Bedarf an Eisen und Proteinen werde für Kinder mit vegetarischer Ernährung möglicherweise nicht gedeckt, zuweilen verunsichert. In dieser Hinsicht beruhigt die Ökotrophologin eindeutig: „Man kann mit vegetarischer Kost, also ohne Fleisch oder Fisch, sehr wohl genügend Nährstoffe und Proteine zuführen. Außerdem werden diese Lebensmittel normalerweise auf dem Teller nicht einfach gestrichen, sondern durch etwas anderes ersetzt“, gibt sie zu bedenken und weist darauf hin, dass es um eine fantasievolle Bereicherung des Speiseplans gehe und nicht einfach darum, die Bratwurst oder das Fischstäbchen durch eine vegetarische Variante auszutauschen. Sorgen ließen sich gut mit dem Verweis darauf entkräften, dass der Bedarf an Nährstoffen, Proteinen und B-Vitaminen und insbesondere Vitamin B12 über den Genuss von Milchprodukten, Hülsenfrüchten und Getreide gut gedeckt werden könnte. Auch die Zufuhr von Jod lasse sich durch Milch und Milchprodukte sowie jodiertes Salz erreichen und Omega-3-Säuren zu großen Teilen mit dem Genuss von Leinsamen, Leinöl oder Nüssen sichern, wie die Expertin ausführt. Damit der Nachwuchs alles bekommt, was er zum Gedeihen braucht, ist – wie bei jeder anderen Ernährungsweise auch – eine bewusste Auseinandersetzung mit der Nahrungszusammenstellung in Elternhäusern oder in Einrichtungen vonnöten.
Veggieweek das ganze Jahr
Ein Blick in die Gemeinschaftsverpflegung von Schulen und Kitas zeigt, dass sich in den letzten Jahren einiges bewegt hat, was bis vor Kurzem noch unvorstellbar erschien. So wie zum Beispiel ein Beschluss des Gemeinderats Freiburg, der einen besonderen Schritt gewagt hat. Es war entschieden worden, zum Schuljahr 2023/24 in Kitas und Grundschulen nur noch vegetarische Kost (mit Milch und Milchprodukten und Eiern) anzubieten. Ein mutiger Vorstoß angesichts ähnlicher Vorhaben, die in der Vergangenheit noch krachend gescheitert waren. Nun aber sind Fleisch und Fisch für Freiburger Kita-Kinder und Grundschüler vom Tisch, und zwar komplett die ganze Woche – eine Veggieweek also. „Die Einführung des vegetarischen Mittagessens in Grundschulen und Kitas stieß in den Anfängen nicht nur auf Akzeptanz, und die Heranwachsenden wurden mit pädagogischer Begleitung an das neue Speiseangebot herangeführt“, berichtet Kerstin Siebenmorgen. Sie ist beim Amt für Schule und Bildung für den Fachservice Schulverpflegung und Ernährungsbildung Freiburg tätig. Siebenmorgen weist auf die Vielzahl an neuen Gerichten hin, die die Kinder erst einmal kennenlernen mussten. „Nach dem ersten Jahr überwiegt ein positives Feedback, das sich aus Schülerumfragen ergeben hat.“