Wann immer ich an das Martinsfest denke, und das tue ich gerne und oft, tauchen sofort Erinnerungen an meine Kindheit in Soest auf. Es sind diese kühlen, nasskalten Novemberabende, wenn der Herbst langsam dem Winter Platz macht, und wir Kinder mit unseren bunten Laternen durch die Straßen zogen. Ich bin inzwischen Ende 30 und selbst Vater eines Sohnes, doch das warme Licht der Laternen, die in der Dunkelheit schimmerten, die vertrauten Lieder und der Duft von Zuckerbrezeln sind mir noch immer so nah, als wäre es gestern gewesen. Sie erwärmten mein Herz.
Ein eigenes Kunstwerk
Das Laternenbasteln war jedes Jahr ein besonderes Ritual. Lange vor dem Martinsfest begann die Vorfreude, wenn im Kindergarten und der Schule und zu Hause die ersten Bastelsachen ausgepackt wurden. Mit Schere, Kleber und buntem Transparentpapier schufen wir Kinder, egal welcher Herkunft und welchen Glaubens, unsere Laternen – jeder stolz auf sein eigenes, kleines Kunstwerk. Mein persönlicher Favorit war eine Laterne in Form eines Mondes, mit einem strahlenden Gesicht, die ich mit meinen Eltern gebastelt hatte. Ich erinnere mich, wie ich sie stolz durch die Gassen von Soest getragen habe, vorsichtig darauf achtend, dass das kleine Teelicht darin nicht verlöschte. Und dann kam der große Abend: der Martinsumzug. Hunderte von Kindern, begleitet von ihren Eltern, zogen durch die Altstadt. Vorne ritt der St. Martin auf einem stolzen Pferd, begleitet von den Klängen der Blaskapelle. Die schöne Altstadt von Soest war in dieser Nacht erfüllt von fröhlichen Liedern wie „Ich geh mit meiner Laterne“ und „Sankt Martin ritt durch Schnee und Wind“. Für uns Kinder war es ein magisches Erlebnis – das Licht in der Dunkelheit, die Geschichten von St. Martin, der seinen Mantel teilte, um einem frierenden Bettler zu helfen. Schon damals spürte ich den besonderen Zauber dieses Festes: Es war nicht nur ein Umzug, es war auch eine Lektion über Nächstenliebe und Mitmenschlichkeit. Das sind Werte, die ich mir zu Herzen genommen habe und heute weitergeben möchte. In erster Linie an meinen Sohn, aber auch grundsätzlich.
Werte weitergeben
Nach dem Umzug gab es traditionell Zuckerbrezeln und heißen Kakao. Der Geschmack dieser Brezeln, leicht süß und doch so einfach, ist für mich untrennbar mit dem Martinsfest verbunden. Wir Kinder saßen eng aneinander gedrängt, unsere Wangen noch gerötet von der Kälte, und guckten uns unsere Laternen an. Es war ein Gefühl von Wärme, nicht nur wegen des Feuers, sondern auch wegen des Zusammenseins. Ich habe eine weitere Vermutung, warum ich so gerne an die Zeit zurückdenke: Das Martinsfest fand immer kurze Zeit nach oder gar parallel zur Allerheiligenkirmes statt. Das Highlight schlechthin in der kalten Jahreszeit von Soest. Heute, viele Jahre später, lebe ich in Düsseldorf, weit weg von den Ecken und Winkeln meiner Kindheit. Doch jedes Jahr im November, wenn die ersten Laternen in den Fenstern zu sehen sind und ich vielleicht zufällig eines der alten Martinslieder höre, spüre ich die gleiche Freude und Nostalgie. Das Martinsfest erinnert mich immer daran, wie wertvoll die einfachen, gemeinsamen Momente im Leben sind. Und seit letztem Jahr bin ich wieder mittendrin – dank meines Sohnes, dem ich die Geschichte von St. Martin erzählen und mit dem ich Laternen basteln und durch die Straßen ziehen kann – so wie ich es einst in Soest getan habe.