Ursachen für Streit, Eifersucht oder Stunden des Zusammengehörigkeitsgefühls sind meist vorhersehbar. Machtlos steht man in der Eltern- bzw. Erwachsenenrolle dem brüder- und schwesterlichen Beziehungsgeflecht keineswegs gegenüber. Das war also der Bauch gewesen, beziehungsweise der Grund, warum er sich über lange Zeit immer mehr gewölbt und manchmal so lustig bewegt hatte. Zum Ende konnte Mama nur noch zur Hälfte umarmt werden. Und jetzt war sie nicht mehr ein Mensch, sondern zwei: Und mit dem von allen so liebevoll beäugten Bündel mussten ihr Schoß und ihre Zeit von nun an geteilt werden.
Alina war bei der Geburt ihrer Schwester sieben Jahre alt. Groß genug, um sich noch ziemlich genau an die Zeit der Schwangerschaft, aber auch an die als „Einzelkind“ zu erinnern und daran, wie sie sich bei der Ankunft des Geschwisterchens fühlte. „Ich war sofort verliebt in das kleine Baby, hatte es oft auf dem Arm, half beim Windelwechseln und sang Schlaflieder. Ich war glücklich über meine Schwester, und gleichzeitig oft sauer auf meine Eltern, denn ich war mir sicher, ihnen unwichtig geworden zu sein.“ Was Alina erzählt, gibt Einblick in Gefühle, die kleinere Kinder für den Familienzuwachs so oder ähnlich wahrnehmen, ohne sie in Worte fassen oder gar differenzieren zu können. Die Sphäre exklusiver liebevoller Nähe zu den Eltern wird dem plötzlich „Großen“ wie von einem Eindringling zerstört. Es nimmt wahr, wie Vater, Mutter und Freunde auf den Neuankömmling reagieren. Der Thron wackelt. Es ist auch nicht selten, dass das Zweitkind als Nesthäkchen bevorzugt wird, während das Ältere plötzlich zurückstecken muss. Das richtet sich dann in einer Mischung aus Emotionen und Enttäuschung gegen das Geschwisterchen und legt den Grundstein für die Qualität der Beziehung.
Typisches Verhalten
Oftmals fallen Erstgeborene in die Babysprache zurück, wollen plötzlich wieder aus der Milchflasche trinken oder auch eine Windel tragen. Das mag den stressigen Alltag in der neuen Familienstruktur, in der sich Gewohnheiten und Abläufe für alle erst einspielen müssen, nicht gerade erleichtern. Eltern sollten keinesfalls Ungeduld oder Gereiztheit auf das Kind übertragen, das nun, dem Neuankömmling gleich, auch wie ein Baby behandelt werden möchte. Dem sollte man vorbeugen, indem man dem großen Kind bewusst Aufmerksamkeit schenkt, aber seinem Alter und seiner neuen Position gemäß, damit es erst gar nicht mit dem Kleinen konkurriert. Schon vor der Geburt kann man die Weichen stellen. Erzählungen aus der eigenen Babyzeit des Erstgeborenen, in der es auch so süß und klein war und umhegt und gepflegt werden musste, helfen. Gleichzeitig sollte man ihm deutlich machen, was es schon alles kann und ihm dementsprechende Aufgabe zutrauen. Das erleichtert, das Geschwisterchen und die neue Situation anzunehmen. Der große Bruder oder die große Schwester spürt, egal wie alt, zum ersten Mal im Leben, dass eine Zeit unwiederbringlich zu Ende gegangen ist, aber auch eine spannende neue Phase beginnt.