Wenn die kleine Kernfamilie mit der nahen und fernen Verwandtschaft zusammenkommt, kann ihr sicheres Gefüge ins Wackeln kommen. So erleben wir uns in Gegenwart unserer Eltern plötzlich wieder als Tochter – dabei sind wir doch Mutter. Oder: Der eigene Bruder weiß auch als Erwachsener immer noch, welche Knöpfe er drücken muss, damit wir wieder zur beleidigten Leberwurst unserer Kindheit mutieren. Und während wir versuchen, bei uns zu bleiben und einen ruhigen Kopf zu bewahren, sollten wir auch noch unsere Kinder im Auge behalten. Klingt anstrengend, oder? Es gibt aber auch die andere Seite: Wenn die erwachsenen Kinder mit Familie kommen, freuen sich Eltern wochenlang darauf. Ich habe keine Erfahrung mit Enkeln, aber von meinen Freundinnen weiß ich, dass sie keine Mühe und auch keine Kompromisse und Verbiegungen scheuen, damit sich alle möglichst wohl fühlen. Weil nun aber Menschen unterschiedlich sind und jede Familie ihre Macken hat – was meist nicht sehr auffällt, bis man sich eben mit jemandem zusammentut, dessen Familie wieder auf ganz andere Weise seltsam ist –, dringt dieser gute Wille vielleicht nicht ganz bis zu dir und/oder deinem Partner oder deiner Partnerin durch.
Gut gemeint: Regel Nr. 1
Was mich zu Regel Nummer 1 für jede Art von Kommunikation bringt: Geh zunächst immer davon aus, dass dein Gegenüber es gut meint. Ich weiß, gut gemeint gilt als Gegenteil von gut. Aber damit kommen wir hier nicht weiter. Gut gemeint, darüber sind wir uns doch einig, ist auf jeden Fall Unfreundlichkeit, Gedankenlosigkeit oder Herzlosigkeit vorzuziehen. Und selbst hinter diesen negativen Mustern kann ein verletzter Mensch stehen, der aus welchen Gründen auch immer nicht aus seiner Haut kann. Dem du aber nicht die Macht geben solltest, dich aus deiner Mitte zu schubsen.
Gut vorbereitet
Was du deshalb brauchst, ist Stabilität. Und die bekommst du durch gute Vorbereitung. Will heißen: Sorg im Vorfeld gut für dich – auch körperlich, damit du über all das hinwegsehen kannst, was nicht wirklich wichtig ist. Mit „nicht wichtig“ meine ich alles, was dir nur lediglich gegen den Strich geht, aber de facto tolerierbar ist. (Spoiler: Um das festzustellen, brauchst du unbedingt Regel Nr. 2!) Kinder können sehr wohl unterscheiden zwischen dem, was ihre Eltern nicht gut finden, die Verwandtschaft aber für normal hält. Sie können auch mit seltsamen Meinungen („Ein Indianer kennt keinen Schmerz!“) umgehen, wenn sie sich grundsätzlich des Rückhalts ihrer Eltern sicher sind. Im Nachgang kannst du das alles wunderbar wieder geraderücken und besprechen. Überleg dir, welche Situationen auftreten könnten, wie du sie gedanklich für dich entschärfst (Regel Nr. 1 hilft dabei!), und was du brauchst, um dich sicher und wohl zu fühlen.
Perspektive wechseln: Regel Nr. 2
Seine eigene Situation mit neuen Augen oder auch nur einigermaßen nüchtern zu betrachten, schafft man in den seltensten Fällen ohne Hilfe von außen. Deshalb kommt jetzt Regel Nummer 2: Misstraue deinem eigenen Urteil (bis zu einem gewissen Grad). Tausch dich mit Menschen aus, die dir ihre Sicht zumuten. Das kann dir helfen, ein realistischeres Bild von dir und deinen Einschätzungen zu bekommen. Zum Beispiel: Nein, es müssen nicht immer alle nach deiner Pfeife tanzen. Es bricht dir kein Zacken aus der Krone, wenn du dir zum tausendsten Mal „Drei Haselnüsse für Aschenputtel“ anschaust. Das gehört für deine Schwiegermutter dazu. Lass ihr die Freude.
Bis hierhin ...
So weit, so gut. Bisher ging es nur um dich und deine Befindlichkeiten. Bei den eigenen Kindern hört der Spaß aber auf, oder? Wie sollen die mit den schrägen Witzen vom Opa klarkommen, nachdem er wie jedes Jahr den Rumtopf zu lecker fand? Und ist es nicht die reinste Geldverschwendung, wenn die Großmutter jedes Jahr mit teurem Öko-Kram ankommt, obwohl deine Tochter einen fatalen Hang zu Glitzer und Pink hat?
... und wie weiter?
Ganz ehrlich? Kleine Kinder haben noch keine Antennen für angeschickerte Opas, aber sie spüren schnell, wenn ihre Eltern komisch werden. Und denken dann, SIE hätten etwas falsch gemacht. Deshalb: Bleib locker. Bleib bei dir. Und mit deinem Kind in Kontakt. Wenn du aber in dich hineinhorchst und erkennst: Du bekommst schon Herzflattern, wenn du nur daran denkst, dann überleg dir Alternativen. Du findest einen Weg – und denk an Regel Nr. 2: Tausch dich dafür mit jemandem aus, dem du vertraust.
Recht auf Experimente
Und was den Öko-Kram (oder was auch immer) anbelangt: Für mich sind Geschenke Ausdruck dessen, was jemand weitergeben möchte. Und nie mit einer Verpflichtung für den Beschenkten verbunden. Mit dieser Maxime vor Augen schenkt es sich leichter – und nimmt auch dem Beschenktwerden den Druck. Wer finanziell darauf angewiesen ist, dass die Verwandtschaft sich an Kinderwünschen beteiligt, äußert klare Vorgaben. Alle anderen entspannen sich und warten interessiert, was kommt.
Zeit genug: Regel Nr. 3
Oh, du fröhliche … Zum Schluss kommt noch Regel Nr. 3: Auch wenn die ganze Welt so tut, als würde Weihnachten nur an den Weihnachtsfeiertagen stattfinden – diesen Schuh musst du dir nicht anziehen. Weihnachten kann mehr. Im Grunde ist die gesamte Zeit zwischen Weihnachten und dem 6. Januar wie dafür geschaffen, es sich wohl sein zu lassen und Kraft fürs neue Jahr zu schöpfen. Vor diesem Hintergrund lass diese Zeit entspannt auf dich zukommen – und bleib auf der Suche nach dem, was dich und deine Kinder in diesen Tagen froh macht. Du hast dafür Zeit genug.