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Familie als Keimzelle der Demokratie

Dr. Elisabeth Müller ist seit fast 14 Jahren Vorsitzende des Verbandes kinderreicher Familien. Für die Apothekerin ist jede Großfamilie ein Stück gelebte Demokratie. Sie sieht in ihr viele Vorteile und setzt sich im Verein für deren Interessen ein. Sie selbst hat sechs Kinder und hat in ihrer Tätigkeit im Verband gelernt, wie viel Gewicht die eigene Meinung haben kann und was man erreichen kann, wenn man sich für etwas engagiert. Wir haben mit Dr. Elisabeth Müller über Mitbestimmung in der Familie gesprochen.

Porträt von Dr. Elisabeth Müller

Laura Rüther

03.03.2025

Lesezeit 3 Minuten

Frau Dr. Müller, was sagen Sie zu dem konkreten Fall in der Kita, in der Kinder selbst entscheiden sollen, ob sie bei Regenwetter Matschhosen tragen? Ab welchem Alter ist es sinnvoll, den Kindern eine Wahl zu lassen?    

Die freie Entscheidung würde ich den Kindern etwa ab dem Vorschulalter geben. Aber es ist individuell vom Kind abhängig. Kinder sollten in der Lage sein, ihre Bedürfnisse zu benennen und ihre Interessen verbal zu vertreten.

Wie würden Sie einem fünfjährigen Kind Demokratie erklären?  

Für mich sind Mitbestimmung und Mitentscheidung zentrale Aspekte der Demokratie. Ich würde es einem Kind so erklären: Stell dir vor, du bist auf einem Spielplatz und möchtest mit den anderen Kindern zusammenspielen. Jedes Kind bringt eine Idee ein – zum Beispiel Fangen, Sandburgen bauen oder Verstecken spielen. Nun müsst ihr gemeinsam abstimmen, was ihr am liebsten spielen wollt. Jedes Kind darf mitentscheiden. Am Ende wird das gespielt, was die meisten Kinder gut finden. Bei diesem Prozess wird niemand ausgeschlossen, und alle tragen die Entscheidung mit.  

Demokratische Prozesse Schulkindern näherzubringen, ist machbar. Wie können Familien mit unter Fünfjährigen Demokratie im Alltag leben?  

Ich glaube, dass man nicht alles, was man in einer Familie lebt, erklären muss. Bei uns zu Hause war der Zug bei meinen drei Mädchen und drei Jungs ein beliebtes Spielzeug. Meine Kinder haben eigenständig Lösungen gefunden, damit alle Geschwister in dem Spiel integriert werden können.  Ein Beispiel aus unserer Familie: Sonntagmorgens war es unser Wunsch, bis sieben oder acht Uhr auszuschlafen – vorausgesetzt, kein Kind war krank oder hatte ein dringendes Bedürfnis. Die Kinder haben das respektiert und in dieser Zeit mit ihren Spielsachen gespielt. Sie haben erlebt, dass sie sich untereinander arrangieren können. Und wir Eltern hatten anschließend wieder mehr Energie für sie. Demokratie in der Familie bedeutet, Freiräume zu bieten, eigene Entscheidungen zu treffen – und die Wünsche anderer zu respektieren.  

Wie schätzen Sie den Einfluss des Demokratieerlebens in Familien auf das gesamtgesellschaftliche Gefüge in Deutschland ein?  

In der Familie werden die ersten sozialen Erfahrungen gemacht. Diese prägen, wie Kinder später Gemeinschaft, Gerechtigkeit und Mitbestimmung wahrnehmen und leben. Das Demokratieverständnis im Familienalltag beeinflusst, wie sich Menschen als Erwachsene in der Gesellschaft engagieren. Nicht umsonst sprechen einige demokratische Parteien von der Familie als „Keimzelle der Gesellschaft“. Denn die Prinzipien, die man in der Familie lernt – Kompromissfähigkeit, Verantwortung und Rücksichtnahme – sind essenziell für unser gesellschaftliches Zusammenleben.  Demokratische Entscheidungsprozesse in Familien stärken das Bewusstsein dafür, dass Mitbestimmung auch Verantwortung bedeutet. Übergebe ich altersgerecht Verantwortung, lernt das Kind, reflektierte Entscheidungen zu treffen und mit Misserfolgen umzugehen. Selbstbestimmung stärkt das Selbstbewusstsein und das Verständnis für kausale Zusammenhänge im Alltag.  

Wie kann man andere Familien ermutigen, Demokratie zu leben? Was, wenn Familien-Hierarchien kulturell anders verstanden werden und Demokratie für sie nicht sinnvoll erscheint?  

Prinzipiell lebt keine Familie in einer Blase. Man orientiert sich immer auch an anderen Familien. Manche leben Demokratie intuitiv vor, für andere ist es keine Selbstverständlichkeit. Mitentscheiden muss eingeübt werden. Wenn jedoch Eltern, die dem demokratischen Konzept eher fernstehen, sehen, dass Kinder, die Verantwortung übernehmen, gute Entscheidungen treffen, sind sie eher bereit, neue Ansätze auszuprobieren. Dialog ist immer besser als Belehrung – vor allem in hierarchisch geprägten Familien, wo Veränderungen mit Feingefühl angegangen werden sollten.   

Jetzt zum Thema Familienrat: Wie alt sollte das jüngste Kind sein, damit ein Familienrat Sinn macht?  

Das wächst mit der Zeit. Tendenziell würde ich sagen, dass das Vorschulalter ein guter Zeitpunkt ist – es hängt aber von der individuellen Reife des Kindes ab.  

Was halten Sie von Familienräten? Wann funktionieren sie besonders gut?  

Familienräte sind eine bewährte Form der Mitbestimmung. Sie existierten bereits in Zeiten stärker hierarchisch geprägter Familienstrukturen. Ein Familienrat bedeutet, gemeinsam über Dinge zu diskutieren und Entscheidungen zu treffen. Gerade in größeren Familien kann er hilfreich sein. Beispielsweise kann sich die Familie zusammensetzen, um den Küchenplan zu besprechen: Wer räumt wann die Spülmaschine aus? Wer deckt den Tisch? Kinder und Jugendliche erleben sich dadurch als wertvolle Mitglieder der Familie. Sie akzeptieren gemeinsam getroffene Entscheidungen besser und setzen sie motivierter um. Oft entstehen dabei kreative Lösungsansätze – so profitieren alle Generationen voneinander.  

Das Gespräch führte Laura Rüther.

Warum ein Familienrat?

Kinder lernen, sich auszudrücken und Konflikte mit Worten zu lösen. Sie sammeln erste praktische Erfahrungen im respektvollen Meinungsaustausch und erleben gelebte Demokratie. Wenn offen darüber gesprochen wird, welche Aufgaben in einer Familie anfallen und wie die Aufteilung verhandelt wird, fühlen sich alle verantwortlich für das Funktionieren des Familienlebens.

Wie funktioniert der Familienrat?

Die Familie trifft sich einmal wöchentlich zu einer festgelegten Zeit. Bei plötzlich auftretenden Problemen kann der Familienrat auch außerplanmäßig einberufen werden. Alle Familienmitglieder sollten anwesend sein. Je nach Alter der Kinder sollte die Sitzung zwischen maximal 20 Minuten (bei Dreijährigen) und 40 Minuten (bei Schulkindern) dauern. Jedes Mitglied hat das Recht, ein Anliegen vorzubringen und gehört zu werden. Dabei ist es erlaubt, über alles zu sprechen: Wünsche, Pläne, Taschengeld, Klagen, Essen oder die Mithilfe im Haushalt. Ein Beispiel: Ein Kind fühlt sich beim Abendessen benachteiligt, weil häufiger die Lieblingsgerichte der Geschwister gekocht werden. Im Familienrat wird nach einer Lösung gesucht – und gefunden: Jedes Kind schreibt zwei Lieblingsgerichte auf. Bei drei Kindern ergibt sich so bereits der Speiseplan für eine Woche – und jedes Kind kommt auf seine Kosten.
 

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