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Typisch MĂ€dchen, typisch Junge?

„Es wird ein Junge!“ Olaf strahlt ist stolz und ergĂ€nzt: „Dann kann ich endlich mit meinem Sohn Fußball spielen. Mit dem ganzen Puppenkram unserer Tochter kann ich nichts anfangen.“ Jungs spielen mit Autos und sind wilder, MĂ€dchen mögen Puppen und wollen gefallen – diese Gedanken haben wir doch so oder so Ă€hnlich alle. Oder sind wir in Zeiten der DiversitĂ€t schon ĂŒber dieses konservative Denken hinweg? 

PortrÀt von einem MÀdchen und einem Jungen, die sich im Arm halten

Eva RĂŒther

20.12.2023

Lesezeit 6 Minuten

Eigentlich könnte es uns doch egal sein, welches Geschlecht unser Nachwuchs hat. „Es ist uns aber deshalb wichtig, weil wir selbst es zu einem wichtigen Thema machen“, sagt Diplom- und SexualpĂ€dagoge Michael Hummert. Er ist tĂ€tig am Institut fĂŒr SexualpĂ€dagogik. Bevor es ĂŒberhaupt richtig losgeht, ist Hummert zufolge bei vielen auch heute noch die zentrale Frage, ob der Nachwuchs ein Junge oder MĂ€dchen wird. „Ich bin auch davon ĂŒberzeugt, dass bereits in der Schwangerschaft dann die GesprĂ€che andere sind – bezogen auf die gesamte Wahrnehmung, die AktivitĂ€ten. Hier beginnt ja bereits die Beziehungsarbeit zwischen Mutter und Kind.“ 

Rosa Strampler fĂŒr Jungs

Ganz intuitiv wĂŒrden auch heute noch die meisten wahrscheinlich bei einem MĂ€dchen eher zu einem roten statt einem blauen Strampler greifen. Und auch in den GeschĂ€ften sind Schnuller und Co. meist farblich sortiert. MĂ€dchenknete ist rosa, die fĂŒr Jungs blau. Es wird uns also auch im Konsumverhalten nicht unbedingt leicht gemacht, einen genderneutralen Weg zu gehen. Und schon im Kindergarten treffen wir auf die nĂ€chste HĂŒrde, weiß Michael Hummert aus Erfahrung: Wenn der Sohn einen roten oder pinken Pulli anziehen möchte, wird er manchmal immer noch auf WiderstĂ€nde stoßen. „Er wird also wegen Äußerlichkeiten ausgelacht. Und das ist gemein. Warum lassen wir Eltern das meistens durchgehen? Warum gehen wir nicht in die Kita und fragen die Erzieher:innen, warum sie das zulassen? Was ist die Idee dahinter?“, so Michael Hummert engagiert. Insofern plĂ€diert er hier ganz deutlich fĂŒr mehr Toleranz und vor allem fĂŒr ein Verhalten, das ein Kind lĂ€sst, wie es ist. Er weiß aber, dass Eltern verunsichert sind, was auch an der Debatte rund um Transgender liegen könnte. „Die Diskussion ist wichtig und will ja mehr Akzeptanz. Gleichzeitig aber sind Eltern schnell verunsichert.“ So wird das Thema skurril, wenn Eltern dadurch verunsichert sind, dass der Sohn nicht gerne Fußball spielt, und sich davon eine alternative sexuelle Orientierung ableiten. „Deshalb finde ich es immer gut, eine Beratung aufzusuchen, wenn solche Fragen auftreten, denn die Auswahl der Farbe eines T-Shirts hat keine Auswirkung auf die sexuelle oder geschlechtliche Orientierung. Alle Kinder haben Eltern verdient, die sie so annehmen, wie sie sind“, so der Experte.

Mathe ist nichts fĂŒr MĂ€dchen?

Wenn aber meine Tochter eben einfach lieber mit Puppen spielt, dann hat das ebenso seine Berechtigung. Oder ist es vielleicht doch so, dass ein gewisses Verhalten einfach typisch MĂ€dchen und typisch fĂŒr Jungen ist? Michael Hummert weiß: „Eigentlich können wir das schon deshalb gar nicht sagen, weil es in unserer Gesellschaft immer diese Einordnung in Geschlechter gibt – eben von Beginn des Lebens an. So werden wir geprĂ€gt.“ In der Grundschule gibt es vielleicht diesen Satz einer Lehrerin: „Es muss ja nicht jeder Mathe können.“ Oder auch: „Ich weiß, Jungs machen eben nicht gerne Deutsch!“ DarĂŒber Ă€rgert sich der SexualpĂ€dagoge: „Warum schreiben Jungs denn nicht gerne? Weil ihnen meistens keine Spiele angeboten werden, bei denen sie feinmotorische FĂ€higkeiten lernen. Sie malen nicht, sondern schnitzen, und haben dann eine schlechtere Handschrift als MĂ€dchen. Sie schreiben langsamer und sind frustriert – wie soll ich da Bock auf Deutsch haben?“ Wer als artiger Junge von der Lehrerin gelobt wird, hat es manchmal danach in der Pause schwer. Das ist heute noch auf vielen Schulhöfen RealitĂ€t. Viele Jungs wollen eher durchs Provozieren gefallen, MĂ€dchen durchs Liebsein. Insofern empfinden wir dieses Verhalten als „typisch“ fĂŒr das Geschlecht. Deshalb gibt Michael Hummert Eltern den Tipp: „Zeigen Sie Ihrem Kind auch durch das eigene Verhalten Alternativen dieser Rollenbilder auf.“ Allzu oft verfallen wir in unserem tĂ€glichen Miteinander in alte Rollenmuster, weil es einfach besser passt. Der Vater verdient mehr und macht deshalb mehr Arbeitsstunden, wĂ€hrend die Mutter große Teile der Carearbeit ĂŒbernimmt. Schon aus diesem Modell alleine ergibt sich eine gewisse Rollenverteilung. Es lohnt sich, gerade mit Ă€lteren Kindern offen darĂŒber zu sprechen und innerhalb der Familie immer wieder auch alternative Wege zu beleuchten. Und bei alledem betont Michael Hummert: „Bitte seien Sie gnĂ€dig mit sich selbst. Es geht um kleine VerĂ€nderungen und nicht darum, alles perfekt machen zu mĂŒssen.“

Lass das mal den Papa machen

All das zeigt, dass es wichtig ist, Kinder in ihrer IdentitĂ€t ernst zu nehmen, wenn sie gestĂ€rkt werden sollen. Und das wollen wir ja schließlich alle. Denn ob Jungs oder MĂ€dchen – an alle werden doch ganz eigene Erwartungen gestellt: „Jungs befinden sich in einem Dilemma: Einerseits vermitteln Werbung, Rollenvorbilder und auch die Industrie, dass sie stark sein mĂŒssen, nicht weinen dĂŒrfen, dass sie destruktiv und laut sind. Gleichzeitig aber sollen sie fĂŒrsorglich und empathisch sein.“ Das weiß Malte Schulz. Er ist Leiter der jungenpĂ€dagogischen Fachstelle „AlleMann“ der Diakonie DĂŒsseldorf. „FĂŒr Jungs ist es schwer, all diese Facetten anzunehmen. Gleichzeitig wird ihnen aber auch vermittelt, dass sie sich nicht so zu verhalten haben wie MĂ€dchen. Das zeigt zum Beispiel der Spruch ,Du lĂ€ufst ja wie ein MĂ€dchen‘.“ Jungs spĂŒren, dass sie alle Anteile in sich haben – die mĂ€nnlichen, aber auch die weiblichen – und sie brauchen positive mĂ€nnliche Vorbilder. Das kann zum Beispiel der Vater sein, der sich aktiv in die Carearbeit einbringt, und zwar ohne dabei regelmĂ€ĂŸig von seiner Partnerin reglementiert zu werden. Denn ob Frau oder Mann: Jede:r hat die eigene Art, mit Dingen umzugehen, und das dĂŒrfen auch die Kinder lernen. Umgekehrt kann eine Mutter ihren Kindern vorleben, wie sie als selbstbestimmter Mensch Dinge in die Hand nimmt, ohne sich dabei von ihrer Umwelt limitieren zu lassen. Malte Schulz plĂ€diert außerdem ganz klar fĂŒr mehr Beteiligung von VĂ€tern im Kindergarten. Es gibt ja nur ganz selten mĂ€nnliche Erzieher, deshalb ist es umso wichtiger, dass hier zum Beispiel Vater-Kind-Aktionen stattfinden. Diese sollten dann vermeintlich untypisch sein. Es geht Malte Schulz auch um eine aktive Zeit mit VĂ€tern untereinander. „Jungs bekommen mit, wie sich Papas unterhalten – eben auch ĂŒber Probleme und Erfahrungen mit ihren Kindern.“ Papas gehen wiederum aber auch anders mit den Kindern in gefĂ€hrlichen Situationen um, sie wollen sich ausprobieren und gehen an die eigenen Grenzen. All das sollen Jungs erleben dĂŒrfen.

Jungs stark machen

„Mir geht es sehr um Geschlechtergerechtigkeit“, betont Malte Schulz. „Echte MĂ€nner sind Feministen, denn sie besprechen mit ihren Jungs zum Beispiel die gerechte Bezahlung im Job von Frauen.“ Jungs wollen cool sein – ein Anspruch, dem sie selbst nicht immer gerecht werden können. Bei „AlleMann“ dĂŒrfen sie alles sein, denn hier ist jeder Junge willkommen und genau so okay, wie er gerade ist. „Wichtig ist uns hier vor allem der respektvolle Umgang miteinander. Deshalb gibt es sofort eine RĂŒckmeldung, wenn das Verhalten eines Jungen nicht akzeptabel ist.“ Du bist okay, aber dein Verhalten ist nicht hinnehmbar. Hier geht es auch um Körperlichkeit – und das ohne Publikum, sondern in einem geschĂŒtzten Rahmen: Geboten werden Kampfspiele, die deeskalierend wirken und gleichzeitig die WertschĂ€tzung fĂŒr den Gegner fördern. Schließlich haben sich beide Jungs fair und gewaltfrei verhalten. All das bietet „AlleMann“ auch schon in Grundschulen an, denn: „Gerade im vierten Schuljahr fĂŒhlen sich Jungs oft besonders stark und groß. Das Ă€ndert sich dann im fĂŒnften Schuljahr schlagartig. Deshalb veranstalten wir einen JungenstĂ€rkungstag mit verschiedenen Aktionen. Manchmal ist es zum Beispiel gut, den Klassenclown in die Verantwortung zu nehmen und zu sagen: Hilf mir doch mal, dass dieser schĂŒchterne Junge mehr Selbstvertrauen bekommt.“ All das soll Jungs stark machen auf dem Weg zur eigenen IdentitĂ€t. Dieser Weg ist fĂŒr MĂ€dchen genauso wichtig. Deshalb gibt es in DĂŒsseldorf rund 70 unterschiedliche TrĂ€ger, die in ihren Kinder- und Jugendfreizeiteinrichtungen spezielle Angebote fĂŒr MĂ€dchen haben. „GrundsĂ€tzlich meine ich, dass die Unterschiede zwischen MĂ€dchen und Jungen auf gesellschaftlichen Erwartungen und Zuschreibungen basieren. Das verhindert eine freie individuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen aller Geschlechter“, meint Iris Windhövel. Sie ist Fachbereichsleiterin der offenen Kinder- und Jugendarbeit im Amt fĂŒr Soziales und Jugend der Stadt DĂŒsseldorf. Sie ist allerdings davon ĂŒberzeugt, dass sich dieses geschlechterspezifische Denken immer mehr verĂ€ndert. NatĂŒrlich gibt es immer noch die Erwartung, dass MĂ€dchen ruhig sind, brav und zuverlĂ€ssig; dabei sind sie oft auch laut, mutig und durchsetzungsstark. „Ich nehme wahr, dass die traditionellen Haltungen der Vergangenheit angehören: Jungs dĂŒrfen im Kindergarten mit Puppen spielen, und MĂ€dchen dĂŒrfen in BĂ€umen klettern, wenn sie Lust dazu haben. Unsere Einrichtungen legen großen Wert darauf, dass hier zeitgemĂ€ĂŸ agiert wird.“ Gibt es also doch die Hoffnung, dass wir gar nicht mehr so konservativ in „Typisch-Kategorien“ denken?

MÀdchenkram 

Trotz des beschriebenen gesellschaftlichen Wandels unterscheiden sich die LebensrealitĂ€ten von MĂ€dchen und Jungen. MĂ€dchen sind weiterhin strukturellen Benachteiligungen ausgesetzt wie zum Beispiel schlechtere Chance im Berufsleben. Deshalb ist die Arbeit getrennt nach Geschlecht nötig: NatĂŒrlich wird kein MĂ€dchen gezwungen, Fußball zu spielen, aber es hat die Möglichkeit dazu. Es geht darum, alternative Angebote zu machen, alternative Rollenbilder zur VerfĂŒgung zu stellen und SchutzrĂ€ume vorzuhalten. Es darf sich natĂŒrlich die FingernĂ€gel lackieren, wenn es das möchte. Es kann auch eine Schmuckwerkstatt besuchen. „Aber wir bieten eben auch Graffiti-Workshops an, die vermeintlich lieber von Jungs besucht werden.“ Manche Einrichtungen machen Angebote wie Selbstverteidigung, Skaten, Kicker, Billard. Schließlich sollen MĂ€dchen sich hier genauso ausprobieren dĂŒrfen wie Jungs. „Bei all unseren Angeboten haben wir das Ziel, MĂ€dchen zu stĂ€rken und sie in ihrer IdentitĂ€tsfindung zu begleiten, indem wir ihnen alternative Wege aufzeigen “, betont Iris Windhövel. „Wir nehmen die MĂ€dchen, wie sie sind, und wir unterstĂŒtzen sie in ihrem Lebensalltag. MĂ€dchen sollen sich ihrer Kraft bewusst werden; dann können sie vieles erreichen.“ Vielleicht sind viele von uns schon auf dem Weg, Jungs und MĂ€dchen nicht typische Charaktereigenschaften zuzuschreiben. Vielleicht denken wir aber hĂ€ufig auch noch konservativer, als es uns bewusst ist. WĂŒnschenswert ist es natĂŒrlich, dass Kinder immer individuell wahrgenommen werden, ohne dass uns Kategorien limitieren.

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