Eigentlich könnte es uns doch egal sein, welches Geschlecht unser Nachwuchs hat. âEs ist uns aber deshalb wichtig, weil wir selbst es zu einem wichtigen Thema machenâ, sagt Diplom- und SexualpĂ€dagoge Michael Hummert. Er ist tĂ€tig am Institut fĂŒr SexualpĂ€dagogik. Bevor es ĂŒberhaupt richtig losgeht, ist Hummert zufolge bei vielen auch heute noch die zentrale Frage, ob der Nachwuchs ein Junge oder MĂ€dchen wird. âIch bin auch davon ĂŒberzeugt, dass bereits in der Schwangerschaft dann die GesprĂ€che andere sind â bezogen auf die gesamte Wahrnehmung, die AktivitĂ€ten. Hier beginnt ja bereits die Beziehungsarbeit zwischen Mutter und Kind.âÂ
Rosa Strampler fĂŒr Jungs
Ganz intuitiv wĂŒrden auch heute noch die meisten wahrscheinlich bei einem MĂ€dchen eher zu einem roten statt einem blauen Strampler greifen. Und auch in den GeschĂ€ften sind Schnuller und Co. meist farblich sortiert. MĂ€dchenknete ist rosa, die fĂŒr Jungs blau. Es wird uns also auch im Konsumverhalten nicht unbedingt leicht gemacht, einen genderneutralen Weg zu gehen. Und schon im Kindergarten treffen wir auf die nĂ€chste HĂŒrde, weiĂ Michael Hummert aus Erfahrung: Wenn der Sohn einen roten oder pinken Pulli anziehen möchte, wird er manchmal immer noch auf WiderstĂ€nde stoĂen. âEr wird also wegen ĂuĂerlichkeiten ausgelacht. Und das ist gemein. Warum lassen wir Eltern das meistens durchgehen? Warum gehen wir nicht in die Kita und fragen die Erzieher:innen, warum sie das zulassen? Was ist die Idee dahinter?â, so Michael Hummert engagiert. Insofern plĂ€diert er hier ganz deutlich fĂŒr mehr Toleranz und vor allem fĂŒr ein Verhalten, das ein Kind lĂ€sst, wie es ist. Er weiĂ aber, dass Eltern verunsichert sind, was auch an der Debatte rund um Transgender liegen könnte. âDie Diskussion ist wichtig und will ja mehr Akzeptanz. Gleichzeitig aber sind Eltern schnell verunsichert.â So wird das Thema skurril, wenn Eltern dadurch verunsichert sind, dass der Sohn nicht gerne FuĂball spielt, und sich davon eine alternative sexuelle Orientierung ableiten. âDeshalb finde ich es immer gut, eine Beratung aufzusuchen, wenn solche Fragen auftreten, denn die Auswahl der Farbe eines T-Shirts hat keine Auswirkung auf die sexuelle oder geschlechtliche Orientierung. Alle Kinder haben Eltern verdient, die sie so annehmen, wie sie sindâ, so der Experte.
Mathe ist nichts fĂŒr MĂ€dchen?
Wenn aber meine Tochter eben einfach lieber mit Puppen spielt, dann hat das ebenso seine Berechtigung. Oder ist es vielleicht doch so, dass ein gewisses Verhalten einfach typisch MĂ€dchen und typisch fĂŒr Jungen ist? Michael Hummert weiĂ: âEigentlich können wir das schon deshalb gar nicht sagen, weil es in unserer Gesellschaft immer diese Einordnung in Geschlechter gibt â eben von Beginn des Lebens an. So werden wir geprĂ€gt.â In der Grundschule gibt es vielleicht diesen Satz einer Lehrerin: âEs muss ja nicht jeder Mathe können.â Oder auch: âIch weiĂ, Jungs machen eben nicht gerne Deutsch!â DarĂŒber Ă€rgert sich der SexualpĂ€dagoge: âWarum schreiben Jungs denn nicht gerne? Weil ihnen meistens keine Spiele angeboten werden, bei denen sie feinmotorische FĂ€higkeiten lernen. Sie malen nicht, sondern schnitzen, und haben dann eine schlechtere Handschrift als MĂ€dchen. Sie schreiben langsamer und sind frustriert â wie soll ich da Bock auf Deutsch haben?â Wer als artiger Junge von der Lehrerin gelobt wird, hat es manchmal danach in der Pause schwer. Das ist heute noch auf vielen Schulhöfen RealitĂ€t. Viele Jungs wollen eher durchs Provozieren gefallen, MĂ€dchen durchs Liebsein. Insofern empfinden wir dieses Verhalten als âtypischâ fĂŒr das Geschlecht. Deshalb gibt Michael Hummert Eltern den Tipp: âZeigen Sie Ihrem Kind auch durch das eigene Verhalten Alternativen dieser Rollenbilder auf.â Allzu oft verfallen wir in unserem tĂ€glichen Miteinander in alte Rollenmuster, weil es einfach besser passt. Der Vater verdient mehr und macht deshalb mehr Arbeitsstunden, wĂ€hrend die Mutter groĂe Teile der Carearbeit ĂŒbernimmt. Schon aus diesem Modell alleine ergibt sich eine gewisse Rollenverteilung. Es lohnt sich, gerade mit Ă€lteren Kindern offen darĂŒber zu sprechen und innerhalb der Familie immer wieder auch alternative Wege zu beleuchten. Und bei alledem betont Michael Hummert: âBitte seien Sie gnĂ€dig mit sich selbst. Es geht um kleine VerĂ€nderungen und nicht darum, alles perfekt machen zu mĂŒssen.â
Lass das mal den Papa machen
All das zeigt, dass es wichtig ist, Kinder in ihrer IdentitĂ€t ernst zu nehmen, wenn sie gestĂ€rkt werden sollen. Und das wollen wir ja schlieĂlich alle. Denn ob Jungs oder MĂ€dchen â an alle werden doch ganz eigene Erwartungen gestellt: âJungs befinden sich in einem Dilemma: Einerseits vermitteln Werbung, Rollenvorbilder und auch die Industrie, dass sie stark sein mĂŒssen, nicht weinen dĂŒrfen, dass sie destruktiv und laut sind. Gleichzeitig aber sollen sie fĂŒrsorglich und empathisch sein.â Das weiĂ Malte Schulz. Er ist Leiter der jungenpĂ€dagogischen Fachstelle âAlleMannâ der Diakonie DĂŒsseldorf. âFĂŒr Jungs ist es schwer, all diese Facetten anzunehmen. Gleichzeitig wird ihnen aber auch vermittelt, dass sie sich nicht so zu verhalten haben wie MĂ€dchen. Das zeigt zum Beispiel der Spruch ,Du lĂ€ufst ja wie ein MĂ€dchenâ.â Jungs spĂŒren, dass sie alle Anteile in sich haben â die mĂ€nnlichen, aber auch die weiblichen â und sie brauchen positive mĂ€nnliche Vorbilder. Das kann zum Beispiel der Vater sein, der sich aktiv in die Carearbeit einbringt, und zwar ohne dabei regelmĂ€Ăig von seiner Partnerin reglementiert zu werden. Denn ob Frau oder Mann: Jede:r hat die eigene Art, mit Dingen umzugehen, und das dĂŒrfen auch die Kinder lernen. Umgekehrt kann eine Mutter ihren Kindern vorleben, wie sie als selbstbestimmter Mensch Dinge in die Hand nimmt, ohne sich dabei von ihrer Umwelt limitieren zu lassen. Malte Schulz plĂ€diert auĂerdem ganz klar fĂŒr mehr Beteiligung von VĂ€tern im Kindergarten. Es gibt ja nur ganz selten mĂ€nnliche Erzieher, deshalb ist es umso wichtiger, dass hier zum Beispiel Vater-Kind-Aktionen stattfinden. Diese sollten dann vermeintlich untypisch sein. Es geht Malte Schulz auch um eine aktive Zeit mit VĂ€tern untereinander. âJungs bekommen mit, wie sich Papas unterhalten â eben auch ĂŒber Probleme und Erfahrungen mit ihren Kindern.â Papas gehen wiederum aber auch anders mit den Kindern in gefĂ€hrlichen Situationen um, sie wollen sich ausprobieren und gehen an die eigenen Grenzen. All das sollen Jungs erleben dĂŒrfen.