Wie die Menschen in der Früh- und Urgeschichte mit ihren Kindern umgingen, darüber können wir nur spekulieren – um zu überleben, mussten sie sich zu Gruppen zusammenschließen, und so liegt nahe, dass Kinder viele Bezugspersonen hatten, die sich um sie kümmerten. Die Verantwortung verteilte sich also auf viele Schultern, was vielleicht erklärt, warum wir uns im klassischen Vater-Mutter-Kind-Modell manchmal etwas einsam und überfordert fühlen. Schriftliche Zeugnisse liefern erst die späteren Hochkulturen, wie etwa die der Griechen und Römer. Sie haben bestimmte Vorstellungen, wie sich junge Menschen verhalten sollen, und prompt kommt es zu Konflikten: „Die Kinder von heute sind Tyrannen. Sie widersprechen ihren Eltern, kleckern mit dem Essen und ärgern ihre Lehrer!“, motzt Sokrates.
Gott Vater und Mutter Maria
Mit der Ausbreitung des Christentums nimmt sich die Kirche mehr und mehr der Erziehung von Erwachsenen und Kindern an und beeinflusst tiefgreifend die Vorstellungen, die sich Menschen von einem gelungenen Leben machen. Stark vereinfacht gesagt geht es darum, Punkte fürs Jenseits zu sammeln. Irdischer Schmerz wird dort in Freude verwandelt werden, und die Angst vor einem strafenden, strengen Gott sitzt tief. Der erstarkende Klerus geht mit dem Adel eine unheilige Allianz ein und zementiert eigene Machtstrukturen, indem er den Fokus auf Gehorsam und Gottesfurcht legt und die gesellschaftliche Ordnung als gottgewollt darstellt.
Kinder sind mehr als kleine Erwachsene
Die Aufklärung Mitte des 17. Jahrhunderts wehrt sich gegen diese Sichtweise und nimmt das erste Mal Kinder als eigenständige Wesen in den Blick. Davor waren sie lediglich als kleine Erwachsene betrachtet worden. Männer wie der Philosoph John Locke kommen nun zu dem Schluss, dass Kinder ein unbeschriebenes Blatt seien, das die Erziehung zu füllen habe. Heute sehen wir das anders, können aber immer noch nicht mit Sicherheit sagen, wie Veranlagung und Umwelt genau zusammenspielen.