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Ein gutes Team 

Ist man selbst Mutter oder Vater geworden, fällt einem auf, was gut oder schlecht gelaufen ist mit seinen Geschwistern oder auch, was als Einzelkind toll oder schwierig war, und was man auf jeden Fall anders machen will. Umzusetzen, was man sich wünscht, wenn man mehrere Kinder bekommt, ist dabei nicht immer einfach. Wir haben mit der Autorin und Wissenschaftsjournalistin Nicola Schmidt darüber gesprochen, was Eltern machen und vermeiden sollten, um eine positive Geschwisterbeziehung zu fördern. 

Porträt der Autorin Nicola Schmidt

Laura Rüther

29.10.2024

Lesezeit 5 Minuten

Nicola, wie schafft man als Eltern die Grundlage für eine gute Geschwisterbeziehung?

Im Prinzip muss man sich nur an ein paar einfache Dinge halten. Wenn man das schafft, hat man schon einen guten Job gemacht. Also: Vergleiche  deine Kinder nicht. Raste nicht vor den Kindern aus. Reiße den Kindern nichts aus der Hand oder zerre die Kinder nicht weg. Versuche reguliert auf die Kinder zu reagieren und gib den Kindern die Möglichkeit, ein Team zu werden. 

Was sind die größten Fauxpas der Eltern – Rollenzuschreibungen, Vergleiche oder Lieblingskinder?

Ein Lieblingskind zu haben ist generell kein Problem. Die meisten Eltern haben sogar ein Lieblingskind, ohne es konkret zu benennen oder sich ganz klar darüber zu sein. Das liegt daran, dass uns ein Kind mehr ähnelt als der Rest. Das ist das Kind, mit dem wir uns unbewusst mehr identifizieren. Das ist gar nicht schlimm, die Frage ist nur, wie wir damit umgehen. Wir sollten nicht in die Wertung gehen und die Kinder unterscheiden oder in Kategorien stufen, wie die schwierigeren und leichteren Kinder, je nachdem, ob sie mir ähnlicher oder nicht so ähnlich  sind. Tatsächlich sind die Kinder, die meinem Wesen eher nicht ähneln, diejenigen, von denen ich viel mehr lernen kann. Und deren guten Seiten ich mir stärker bewusst machen muss. Eltern neigen dazu – das zeigt die Studienlage auch immer wieder –, Geschwister in Rollen zu drängen. Besonders, wenn Erstgeborene ein Geschwisterchen kriegen, bekommen sie sehr leicht die Rolle der großen Schwester oder des großen Bruders – obwohl sie selbst vielleicht erst zwei Jahre alt sind. Damit überfordern wir die Kinder oft. Zusätzlich ist es schwierig, weil feste Rollenzuschreibungen uns bleiben – viele Kinder kommen ein Leben lang nicht mehr aus diesen Rollen heraus: Die Kleinsten hören zum Beispiel immer wieder: Ach, das kannst du noch nicht. Lass mal, ich mach das für dich. Für die Mittleren hat keiner so richtig Zeit. Und die Großen müssen immer vernünftig sein. Solche Muster tragen wir ein Leben lang in uns.

Es gibt ja noch weitere Rollenzuweisungen, die Eltern verhindern sollen. Das passiert so schnell. Wie wirke ich dem entgegen? Warum sind Rollenzuweisungen so schwierig?

Grundsätzlich sind alle festen Zuschreibungen schwierig. Wenn wir sagen: „Du bist sportlich“, „Du bist klug“ oder die Kinder sogar bewerten: „Du bist gut/schlecht“, dann sind diese Sätze nicht zielführend. Oft sind das absolute Charakterzuschreibungen. Kinder brauchen Informationen wie: „Sport macht dir Spaß“, statt zu sagen: „Du bist ein kleiner Sportler.“  Wenn ein Kind nicht gerne aufräumt, dann sagen wir nicht „Du kleiner Chaot“, sondern: „Hey, du räumst nicht gerne auf, aber ich weiß, dass du gestern deine Stifte total ordentlich in dein Mäppchen einsortiert hast! Komm, wir beide sortieren jetzt mal gemeinsam die Gewürze in der Küche.“ Damit zeige ich meinem Kind: Jeder Mensch hat verschiedene Seiten. Jeder vernünftige Mensch ist auch mal unvernünftig. Jeder ordentliche Mensch ist auch mal unordentlich. Und jeder aggressive Mensch hat auch seine ruhigen Momente. 

Jetzt zu dem dritten typischen „Elternfehler“: Was machen Vergleiche mit Geschwistern und sollte man sie nicht unterbinden in einer Welt, die von Wettbewerb und Vergleichen nur so wimmelt?

Kinder vergleichen, weil sie in einer Welt der Vergleiche leben. Wir können da ein Gegengewicht aufbauen. Wenn das Kind sagt: „Ich bin schneller auf dem Fahrrad als mein Bruder“, kann ich erwidern: „Genau, du bist schneller auf dem Fahrrad. Du bist auch zwei Jahre älter. Natürlich bist du jetzt schneller. Schauen wir mal in zwei Jahren, wie schnell dein Bruder dann ist.“ Schneller sein ist kein Wert an sich. Oder nehmen wir das Beispiel mit dem Turm, diese Beschreibung kann ich stehen lassen. „Ja, mein Schatz, ich sehe, dein Turm ist höher als der andere Turm.“ Ich kann dann weiter beschreiben: „Ich sehe, ihr habt zwei unterschiedliche Türme gebaut. Der eine ist hoch und einfarbig, der Turm deiner Schwester ist niedriger und bunt.“ Wir Eltern können den Kindern, wenn diese sich untereinander oder Zustände oder Gegenstände miteinander vergleichen, zeigen: Du hast korrekt beschrieben, wer schneller ist, welcher Turm höher ist, wer ruhiger geblieben ist usw. Aber das ist nicht der einzige Wert. 

Wie schaffe ich es, an das Kind heranzukommen, das bewusst die Rolle des Querschlägers übernommen hat?

Tatsächlich heißt es hier erst einmal die Bedürfnisse des Kindes zu erfüllen, damit sein Gehirn überhaupt arbeiten kann. Sobald das Kind müde, hungrig, kalt oder frustriert ist, kann es sowieso nicht kooperieren. Das heißt, ich muss immer erst mein Kind in den Normalzustand bringen. Danach ist es wichtig, meinem Kind immer wieder zu sagen, wann es richtig reagiert.  „Hast du gerade gemerkt – da hat deine Schwester dich gerade geärgert und du bist ganz ruhig geblieben.“ Und nicht: „Jetzt hast du wieder Mist gebaut.“ Wir verstärken viel zu oft das Negative, weil wir vor allem das ansprechen. Wir können es genau umgekehrt machen.

Wie wichtig ist es, Themen, die man mit den eigenen Geschwistern hat, aufzuarbeiten, damit man keine Verletzungen auf die Kinder überträgt?

Es ist immer schlau, wenn man eigene Kinder hat, auch in die eigene Kindheit zu schauen. Was sind Dinge, die mich verletzt haben, die ich falsch verstanden habe? Was sind Dinge, die ich anders machen würde?  Ich persönlich denke mir,  so wie ich mein Auto zur Inspektion bringe, kann ich auch bei mir immer mal wieder unter die Motorhaube gucken. Bin ich im Gleichgewicht oder triggert mich beispielsweise mein Fünfjähriger total in bestimmten Situationen? Es kann sein, dass der Junge in mir etwas wachruft, das mich schon als Kind genervt hat, wofür mein Kind aber nichts kann.

Was waren die bahnbrechendsten Erkenntnisse der Geschwisterforschung aus deiner Sicht? 

Was mich wirklich überrascht hat: Geschwister sind wie zwei auf dem Spielplatz zufällig ausgewählte Kinder, die man zwingt, in einer WG zusammenzuleben und ihre primären Bezugspersonen zu teilen. Als ich das verstanden hatte, wurde mir klarer, warum es zum Teil so schwierig und anstrengend ist mit den Kindern und ihren Streitigkeiten.

Spannend. Aber ganz verstehe ich das nicht, weil Geschwister ja doch viele Gene miteinander teilen. 

Ja, aber sie entwickeln ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Sie haben andere Vorlieben, sie können völlig unterschiedliche Temperamente haben, ein Kind braucht vielleicht mehr Ruhe, ein Kind will mehr Aktion. Keiner fragt die Kinder, ob sie gerne mit einem Wirbelwind oder einer kleinen Lesemaus zusammenleben möchten, wir entscheiden das für sie.

Ich habe gelesen, drei Viertel der Minderjährigen wachsen mit Geschwistern auf.  Das sind mehr als früher. Ich könnte mir vorstellen, dass das auch mit einer wachsenden Zahl von Patchworkfamilien zu tun haben kann. Was macht eigentlich eine Patchworkdynamik mit Kindern?

Bei Patchworkfamilien ist das größte Problem, wenn wir uns als Familie zu wenig Zeit nehmen. Nach Studienlage braucht eine Patchworkfamilie mindestens zwei Jahre, um zusammenzuwachsen. Häufig ist es so, dass neue Familien schnell zusammenziehen und dann auch noch recht schnell ein neues Baby kommt. Damit sind viele Kinder überfordert. Im Übrigen sollte die Erwartung nicht sein, dass die Patchwork-Geschwister einander heiß und innig lieben. Es gilt wie bei allen Geschwistern: Wir dürfen erwarten, dass sie sich respektvoll verhalten, aber sie dürfen sie trotzdem doof finden und das auch sagen. Wenn die neuen Geschwister überhaupt nicht miteinander klarkommen, muss man Räume schaffen, damit die Kinder sich aus dem Weg gehen können. 

Noch einmal eine Frage zum Start dieser besonderen Beziehung: Wie bereite ich die Ankunft eines Geschwisterkindes ideal vor?

Wenn das Kind Interesse daran hat, ist es schön, gemeinsam Geschwisterbücher anzugucken. Ansonsten nicht. Das Wichtigste ist, wenn das neue Kind auf die Welt gekommen ist, dass meine Hände frei sind für das Kind, das ich schon habe. An dem Tag, an dem das Baby nach Hause kommt, brauche ich jemand, der das Baby hält, damit mein Kind nicht die negative Erfahrung macht: „Jetzt ist das Baby da, jetzt werde ich nicht mehr in den Arm genommen.“ Leider ist es so, dass Mütter immer noch viel zu wenig Unterstützung haben in der Zeit, in der das Baby klein ist. Wir müssen in dieser Zeit jemanden haben, der kocht und putzt. Jemanden, der uns abends hilft, die Kinder ins Bett zu bringen. Geschenke und alles andere sind zweitrangig. Das, worunter die Kinder leiden, sind überforderte Eltern. Ich sehe auch manchmal, dass Eltern unheimlich viel für die Babys kaufen oder viel Geld in ein großes neues Familienauto stecken, wenn ein weiteres Kind kommt. Ich rate tatsächlich immer, das Geld in gute und ausreichende Haushaltsunterstützung zu investieren. Und noch ein weiterer Tipp: Zieht nicht unbedingt in das Einfamilienhaus weg von Familie und Freunden, zieht lieber in eine Gemeinschaft, in der ihr Unterstützung bekommt, in ein Dorf, wo noch andere Familie sind.  

Das Gespräch führte Laura Rüther.

Nicola Schmidt ist Mutter von zwei Kindern, Wissenschaftsjournalistin und Autorin von mehreren Bestsellern zum Thema Kindererziehung. Auf dem Instagram-Account @artgerechtprojekt zeigen Nicola und ihr Team, wie artgerechte Erziehung im Alltag konkret aussieht. 

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