Rollenbilder werden in der Kindheit vergeben, und jedes Kind versucht, seinen Platz in der Familie zu finden, eine Rolle einzunehmen. Wer kennt es nicht in Geschwisterkonstellationen? Die große, vernünftige, zuverlässige Schwester, die sich kümmert, wenn es Probleme gibt. Klischees, die aber nicht selten erfüllt werden. Oder das jüngste Kind, das bei zwei strebsamen, belesenen Schwestern den rebellischen Part übernimmt und nicht als Einser-Schülerin durch die Schule läuft. Es ist natürlich, dass sich Kinder innerhalb der Familie eine Rolle suchen, die idealerweise noch nicht besetzt ist. Sie probieren, ihre Einzigartigkeit innerhalb der Familie in den Vordergrund zu stellen. Dieses Nischenphänomen führt dazu, dass sie ihre Unterschiede herausstellen und nicht die Gemeinsamkeiten. Schaut her: Das kann nur ich. Man sucht ein Feld, das noch nicht besetzt ist, wie sportliche Talente oder musikalisches Interesse.
Längste Beziehung
Geschwisterbeziehungen sind eine der komplexesten und gleichzeitig bereicherndsten zwischenmenschlichen Beziehungen, die wir im Laufe unseres Lebens erleben. Kein Mensch ist uns genetisch so nah wie unsere Geschwister. Oft haben wir sogar 48 bis 52 Prozent gleiches Genmaterial. Idealerweise haben wir mit unseren Schwestern oder Brüdern Verbündete fürs Leben. Die Beziehung überlebt in der Regel den Tod der eigenen Eltern und ist daher unsere längste verwandtschaftliche Beziehung. Die Beziehungen sind geprägt von einer Vielzahl von Emotionen und zahlreichen Erinnerungen. Die innerfamiliären Rollen, die wir als Kind in einer Geschwisterkonstellation gefunden haben, begleiten uns –
wie beschrieben bei der 40-jährigen Mutter oben – oft ein Leben lang.
Vergleiche
Eltern stoßen ihre Kinder manchmal unbewusst in die eine oder andere Richtung oder sind sich nicht immer bewusst, welch großen Einfluss Geschwister und ihre Rollen haben. Der Klassiker ist die große Schwester, die früh Verantwortung übernehmen muss, wenn ein Geschwisterkind kommt. Es gibt aber noch viele weitere Rollenzuschreibungen. Jonas ärgert sich bis heute, dass seine Eltern ihm immer wieder die Rolle des Schüchternen zugeschoben haben, weil er mit sieben Jahren nicht so offenherzig und kontaktfreudig auf Fremde zuging wie seine Schwester. Der Stempel begleitete ihn sehr lange, und erst heute, mit über 25 Jahren, hat er sich bewusst davon distanziert. Oder wie zum Beispiel Markus, der das Medizinstudium direkt ausschloss, weil der große Bruder das Feld bereits bediente und er dachte, das können ja nicht zwei innerhalb der Familie machen. Solche Irrglauben sind schnell zu entkräften. Die Voraussetzung dafür ist, dass Gespräche stattfinden und die Eltern ihr Kind als eigenständiges Individuum im Blick haben und ihm dieses auch spiegeln.